denis johnson: ein gerader rauch [engl. tree of smoke, 2007], 2008
denis johnson, sohn eines us-amerikanischen offiziers aus münchen, wie wikipedia, wohl- oder übelwissend, mitteilt, verbrachte seine kindheit und jugend dort, wo auch grosse teile seines romans angesiedelt sind: auf den philippinen.
auch drogen spielen eine rolle. so weit, so autobiographisch.
um einen roman herzustellen, muss dass eigene trauma mit einem grösseren trauma kurzgeschlossen werden. in johnsons fall ist es der so genannte vietnamkrieg sowie seine vor- und ausläufer.
in der deutschen übersetzung, die stellenweise etwas holperig daherkommt, umfasst das konvulut mehr als 800 seiten, in denen anschläge verübt werden (z.b. durch einen bnd-agenten, dessen vater schon für die nazis gearbeitet hatte), dem freiheitlichen antikommunismus gehuldigt (durchweg und am wenigsten überzeugend in der figur eines zweifelnden nordvietnamesischen soldaten), das christentum bemüht (ebenfalls durchweg) und krude geheimdienstverwicklungen mutmasslich entwickelt und end-verwickelt werden (durchweg, vor allem anhand der lektüre fiktiver aufzeichnungen eines us-amerikanischen geheimdienstoffiziers, der sich trotz intensiver suche in luft auflöst).
das gesamte karteikartensystem des colonels, über neunzehntausend einträge, vom ältesten bis zum jüngsten sortiert, ruhte auf vier an die wand geschobenen klapptischen links und rechts von seiner badezimmertür, über neunzehntausend din-a7-karten in einem dutzend schmaler holzkästen, die, wie der colonel ihm erklärt hatte, in den werkstätten auf dem seafront-gelände der amerikanischen botschaft in manila angefertigt worden waren. auf dem boden neben den tischen standen sieben fünfzehn kilo schwere kartons voll unbeschriebener karteikarten und zwei kartons mit tausenden von din-a5-kopien, das gleiche neunzehntausendkartensystem im duplikat, vier karten pro seite. seine hauptbeschäftigung, seine wesentliche aufgabe in dieser phase seines lebens, das ziel, das er in diesem grossen schlafzimmer neben dem kleinen golfplatz verfolgte, bestand darin, gemäss bestimmten, vom colonel ersonnenen kategorien einen zweiten katalog zu erstellen und die beiden dann durch querverweise zu verknüpfen. er hatte keine sekretärin, keinerlei hilfe - dies war die private nachrichtendienstliche bibliothek des colonels, sein geheimes lager, sein mauseloch. er behauptete, er habe alle kopien selber angefertigt, behauptete auch, skip sei ausser ihm der einzige, der mit diesen schätzen in berührung gekommen sei. mit dem grossen, guillotineähnlichen papierschneider und den langen, langen reihen der mit klebstoff gefüllten gläser. und den zwölf kästen, robusten, einen meter langen schubladen, wie sie in bibliotheken verwendet wurden, jede mit vier schablonenziffern auf der vorderseite - (s.70-71)
vielleicht träumt der autor hier den traum der auflösung in der schrift, dargestellt durch die mehr als rückwärtigen dienste des crazy colonel. von diesem colonel lässt sich das gleiche sagen wie von kleists kohlhaas: es haben nachkommen gelebt.
(denis johnson: ein gerader rauch, reinbek bei hamburg: rowohlt 2008, 880 seiten)
| thomas wetttengel © 2011-04-21 |
2011-04-21
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