2013-07-05

JAN FAKTOR: GEORGS SORGEN UM DIE VERGANGENHEIT ODER DER HEILIGE HODENSACK-BIMBAM VON PRAG

Das Buch ist schon seit drei Jahren auf dem deutschsprachigen Buchmarkt zu haben. Ich bespreche es erst jetzt, weil es mir vorher nicht aufgefallen war. GEORGS SORGEN UM DIE VERGANGENHEIT ODER IM REICH DES HEILIGEN HODENSACK-BIMBAMS VON PRAG. Es ist so ähnlich wie Kafka, nur dicker, ausufernder, wie die Moldau bei Hochwasser und einer 5B-Wetterlage. Wenn Kafka ein schmales Scheibchen ist, dann hat Jan Faktor hier einen Schinken hergestellt. Die Fabrik heißt Kiepenheuer & Witsch, volkstümlich KiWi. Als gewesener DDR-Bürger bekomme ich hier einen schönen Einblick in die mitleidigen Blicke der Tschechen auf die gastronomische Garstigkeit Ostdeutschlands. Emil „Lokomotive“ Zatopek wird ebenso verewigt wie die bekannten und weniger bekannten politischen Gegeben- und Übergebenheiten, Unfälle mit Straßenbahnen, Entjungferungen, Abgrenzungen in beengtem Wohnumfeld, Städtebau. Ob Jan Faktors Überzeugung der des Erzählers entspricht, es mit einem totalitaristischen Ensemble von Menschen und Geschichte zu tun zu haben, sei dahingestellt. Die Förderung durch die Robert-Bosch-Stiftung dürfte die vor allem auf den ersten paar dutzend Seiten häufige Erwähnung von „Totalitarismus“ nicht erschwert haben. Es ist aber auch ein wirklich, wenngleich häufig überzeichnender und nach Witzen hechelnder, saftiger Schinken, den KiWi hier in Umlauf gebracht hat. Ich habe meinen Eltern, die von ihrem Studium in Moskau und Leningrad (hieß damals wirklich noch so, das Umland von Peterburg heute noch) her mit einem Tschechen befreundet sind, empfohlen, ihm dieses Buch doch mal zu schenken. Ich wollte natürlich wissen, was ein echter Tscheche über ein Buch über die Tschechoslowakei denkt. Leider liest er als viel beschäftigter Geschäftsreisender keine Bücher mehr. Das erste sowjetische Düsenflugzeug war übrigens nicht, wie fälschlich von Faktor auf Seite 80 zum Fakt gemacht, die Tu-144, sondern die Tu-104 (1955), wenn man Wikipedia glauben darf. Ein Literat ist ja auch kein Luftfahrthistoriker. Wer jedenfalls etwas über das kulturelle Leben im Prag der 60er und 70er Jahre erfahren will, sollte sich das in lesbare Abschnitte eingeteilte Buch zu Gemüte führen. Da es schon seit drei Jahren auf dem Buchmarkt ist, dürfte es auch in den meisten gut sortierten Bibliotheken zu finden sein. | thomas wettengel © 2013-07-04 |