2013-05-08

WÜHLARBEIT

Günter R. Witte: DER MAULWURF. TALPA EUROPAEA, Magdeburg 1997 Ein grundlegendes Buch für alle, die alles über diesen kleinen, unterirdischen Wühler wissen wollen. In sechs Abschnitten führt Witte den Leser in die Welt des Mulls ein. Abschnitt 1 widmet sich Habitus, Morphologie und Anatomie des Maulwurfs. Hier erfährt man auch am Rande, warum Maulwurfspelz im 20. Jahrhundert aus der Mode kam: „Sicherlich liegt ein weiterer...Grund dafür, daß Maulwurfspelz out ist, weniger in der Abnutzung von Pelzwerk im Auto als vielmehr in den entstehenden Druckmarken im kostbaren Kleidungsstück, die allzu klar sämtliche mehr oder weniger schmeichelhaften Details der Körperformen seines Trägers abbilden.“ (40) Maulwürfe sind außerdem sehr viel kleiner, als es ihre Erdbewegungen (Maulwurfshügel) vermuten lassen. Es bräuchte also hunderte tote Maulwürfe für einen Pelz. Abschnitt 2 wendet sich der systematischen Stellung der Maulwürfe zu und macht deutlich, dass der flinke Gräber nicht nur ein echter Europäer und Wühlweltmeister, sondern in seinen vielfältigen Ausformungen geradezu ein Weltbürger ist. Allein beim Talpa europaea existieren acht Unterarten: europaea, frisius, cinerea, brauneri, uralensis, pancici, velessiensis, kratochvili. Da hat sich ganz schön was zusammengewühlt. Der eher kurz geratene Abschnitt 3 befasst sich mit Paläontologie und Evolution des Maulwurfs und soll, damit er nicht untergeht, mit einem Zitat berücksichtigt werden. „Die Gattungsgruppe, die Talpa, Euroscaptor, Mogera und Scaptochirus (was sich eher nach Kampfmaschinen und japanischen Filmmonstern anhört als nach einem possierlichen Grabschaufler) einschließt, tritt uns erstmals im frühen Mittelmiozän in der Kleinsäuger-'Zone' Sansan, und zwar im Langhium (mittleres Miozän, vor ca. 15 Mill. Jahren), entgegen: Talpa minuta Blainville, 1840, die nach einem 9,4 mm langen Humerus beschrieben und deren Zugehörigkeit zu Talpa verschiedentlich angezweifelt wurde, stuft man als ursprünglichste und älteste Art der Gattung bzw. Gattungsgruppe ein. Talpa ist seither für Europa nahezu durchgehend bis heute fossil dokumentiert.“ (56) Abschnitt 4 beackert ausführlichst das Leben des Europäischen Maulwurfs (Talpa europaea) und fördert Erstaunliches zutage. Maulwürfe durchschwimmen mal eben die Weser bei Hameln, die dort 70 m breit ist und ziemlich schnell fließt, wie der Rezensent bestätigen kann oder planschen vor den Deichen im Ijsselmer-Polder herum. (100) Wasserscheu sind sie also nicht. Maulwürfe sind aber keineswegs die niedlichen Tiere, wie sie uns in Trickfilmen oder neuerdings als Puppen begegnen. „Zwischen Maulwürfen besteht keinerlei Tötungshemmung, nicht einmal gegenüber graviden Weibchen. Jede kampfvermeidende Strategie wie Aus-dem-Weg-Gehen, Sich-Eingraben oder Flüchten ist deshalb von großer Bedeutung im täglichen Umgang zwischen Maulwürfen.“ (123-124) Maulwürfe bauen, fressen und bevorraten ständig. Regenwürmern beißen sie gerne den Kopf ab und buddeln sie in regelrechten Vorratskammern ein, wo die bewegungsunfähige Beute weiterlebt, bis sie gefressen wird – übrigens bei lebendigem Leib. Apropos lebendiger Leib: Wer einen Maulwurf schluckt, wird möglicherweise von seinem Essen aufgefressen. Maulwürfe haben bekanntlich keine Angst im Dunkeln. Es ist der Fall dokumentiert, in dem sich ein im Ganzen abgeschluckter Maulwurf durch eine lebende Silbermöwe nach außen fraß, wo er dann an Erschöpfung starb. (168) In Abschnitt 5 (Haltungssysteme zu Lehr- und Unterrichtszwecken) versucht Witte den Talpa europaea als Versuchstier zu präsentieren. Wer in seinem Referendariat mal einen schönen Vorschlag zu Tierversuchen einbringen möchte, findet hier reichliches Material. Abschnitt 6 thematisiert den Maulwurf im Bewußtsein des Volkes. Hier findet sich alles Mögliche mythisierende, religiöse und fabulierende Zeug zu Maulwürfen, vom Alten Testament bis hin zu japanischen Kinderbüchern. Aber Achtung: Maulwürfe gehören nicht ins Kinderzimmer! Der Rezensent findet das Buch in seiner Ausführlichkeit so bizarr, dass er es dem Leser nicht vorenthalten will. Man muss es nicht kaufen, jede anständige Universitätsbibliothek sollte ein Exemplar vorrätig haben. Wem dieses Fachbuch zu umständlich ist, kann sich auch erst einmal durch Franz Kafkas BAU wühlen. | thomas wettengel |

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