2009-08-29

KÜRBIS – SCHWARZE MUTTER ALLER INTEGRALHELME

Die Heimat dieser Gattung mit Gruselgarantie ist Amerika. Heute werden die domestizierten Arten weltweit in allen warmen Gebieten kultiviert.

Die Früchte, so genannte Panzerbeeren, sind vielsamig und sehr groß. Größer als ein Kopf, weshalb sie, neben der kulinarischen Verwertung, auch kulturell nutzbar sind. Aushöhlen, Löcher reinstechen, beleuchten und aufsetzen. Panzerbeeren sind ein Kulturgut.

Es gibt viele verschieden aussehende Arten mit interessanten Namen. Darunter einige gute Bekannte, die man nicht für Kürbisse halten würde, wenn man es nicht gleich besser wüsste.

Wilder Kürbis, Riesenkürbis, Hokkaidokürbis, Moschuskürbis, Birnenkürbis, Zucchini (Aha!), Spaghettikürbis (Oho!), Zierkürbis und – last but not least – Pumpkin.

In den USA heißen Pumpkins (die Mutter aller Grusel-Laternen) die Sorten mit großen, runden Früchten, die unter anderem zur Kuchen, Laternen (Jack-’o-lantern) und schreckenerregenden Masken verwendet werden, bezeichnet. Über das Ursprungsland der Pumpkins hinaus bekannt und verbreitet ist der Brauch, Kürbisse zu Laternen umzubauen. Das dazugehörige Volksfest

Ziel ist es nicht nur darum, den Kürbis möglichst grauenhaft auszustechen und zu beleuchten. Es geht auch um die nahezu ewige Frage, wer den größten – Kürbis im Vorgarten hat. Der Rekord liegt bei amtlich beglaubigten 766,1 kg. Da sind schon manche Köpfe gerollt.

Der Riesenkürbis wurde erstmals in Südamerika domestiziert. Möglich also, dass es die kriegerischen Inka waren, die erstmals unter Zuhilfenahme von biologisch abbaubaren Integralhelmen ihre Feinde in die Flucht schlugen und verschiedenfarbige Leuchtzeichen gaben.

Etymologisch geht das Wort Halloween auf All Hallows’ Even (Allerheiligenabend) zurück. Hier ist der Vorabend des Festes „Allerheiligen“ in der Nacht vom 30. Oktober auf den 1. November gemeint. Bevor die Heiligen an der Reihe sind, wird es erst einmal unheilig. Prägnanz wird eben durch Kontraste erzeugt. Das Heilige kann nur dort hell und rein strahlen, wo es verdammt finster und gruslig ist.

Schon die alten Römer kannten eine Tragödie mit dem schönen Namen „Die Verkürbissung des Kaisers Claudius“ (Seneca). Nero zwang seinen Lehrer, sich umzubringen, bevor er die Nacht zum Tage und Rom zu seinem „Personal Halloween“ machte. Seneca war das, was das Licht in den „Jack-’o-lanterns“ genannten Kürbislaternen war, für seinen finsteren Zögling Nero. Nero, wie bekannt, hatte seine eigene Art, die Nacht zum Tage zu machen. Der fiese Finsterling gilt heute allgemein als Erfinder der Straßenbeleuchtung.

Inwieweit das Fest um den keltischen Totengott Samhain damit zu tun hat, ist nicht restlos geklärt. Es liegt im Dunkeln, wie so vieles an Halloween.

Eine Quelle, die ungenannt bleiben will, spricht von der alten Donaumonarchie als dem einzig wahren Ursprung der Kürbiskultur. Das Wort „Halloween“ sei in Wahrheit österreichisch-ungarisches Kulturgut und gehe auf die Zeit der Belagerung durch die Türken im Jahre 1529 und deren kugelförmige Minen zurück. Es bedeute, und hier geht die Quelle selbst auseinander wie ein gespaltener Kürbiskopf, ursprünglich entweder so viel wie „Hallo Wien!“ oder „Hell-o-Wien!“ und stelle eine Art Schlachtruf – von Wienern oder Türken, weiß man nicht – dar.

Ein Kenner der Untoten, der selbst hin und wieder untote Dramatiker Heiner Müller, soll, als er mal wieder unter den Lebenden wandelte, einen Satz gemurmelt haben, der von tiefer Kennerschaft der Kürbiskultur zeugt: „Die Toten sind nicht tot.“ Er muss es ja wissen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Halloween
http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%BCrbisse
http://muller-kluge.library.cornell.edu/de/video_record.php?f=103

2009-08-05

LEBHAFT

wo andere menschen etwas fühlen,
da hat der preusse prinzipien.

2009-08-04

DIE VERRÜCKTE

vor dem bahnhof friedrichstrasse kniet eine frau. sie ist zwischen fünfzig und sechzig jahre alt, vielleicht auch älter. sie ist dick und hat schon ganz graues, fast weisses haar. sie trägt halbschuhe, eine jeans und eine regenjacke. sie reckt die arme nach vorne und oben und murmelt leise vor sich hin. gerade als ich vorübergehe, scheint sie sich erheben zu wollen. sie macht mit dem linken bein eine art ausfallschritt, so dass sie nun auf einem bein steht und auf einem kniet. die leute, es ist ein lebhafter nachmittag unter der woche, sehen sich nach ihr um, werden aber kaum langsamer. in einige entfernung stehen menschen, die vielleicht eben noch passanten waren und gleich wieder welche werden, in kleinen gruppen oder allein. sie betrachten das schauspiel. vielleicht film auch jemand die szene, mit einem mobiltelefon oder einer versteckten kamera, vielleicht sieht ein wachmann die szene auf einem seiner monitore. da die frau nicht am boden liegt und sich zu erheben scheint, wenigstens rede ich mir das ein, setze ich meinen weg zur stadtbahn fort, tauche ein ins gewül der passagen mit ihrem lärm und den gerüchen, und bewege mich, einem tänzer gleich und sicherer als sonst, auf meinem weg durch die entgegenkommenden und meinen weg kreuzenden menschen. es war ein etwas kühler tag im mai, noch am morgen hatte es geregnet. jetzt schien zwar die sonne, aber der wind war unangenehm böig, er trieb die wolken, die sich zu gebirgen türmten, über den blauen himmel wie eisberge oder papierfetzen.

2009-08-03

UNFAIR / WORKFARE / WARFARE

(Neues Deutschland, 31.07.2009)






"ARBEITSZWANG ALS ABSCHRECKUNG. Workfare-Vertreter planen düstere Zukunft für Erwerbslose. Von Rolf Stumberger






Arbeitszwang als Drohung für Erwerbslose? Das planen die Zukunftskommissionen Bayerns und Nordrhein-Westfalens. Nun liegen die Ideen beim Wirtschaftsministerium - Vorläuferprojekte gibt es bereits.

In Meyers Konversationslexikon von 1890 ist unter dem Stichwort Arbeitshäuser zu lesen: 'Die Einrichtung des englischen Werkhauses stützt sich vorzüglich auf die Abschreckungstheorie. Sie ist darauf berechnet, von der Inanspruchnahme öffentlicher Hilfe möglichst abzuschrecken und durch eignen Erwerb die Aufnahme in A. zu vermeiden.' 120 Jahre später lesen wir in einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums von Arbeitsangeboten, bei denen eine produktive Tätigkeit nur von 'nachrangiger Bedeutung' ist, ansonsten 'der 'abschreckende' Effekt im Vordergrund steht'. Dabei handelt es sich um 'Workfare' - quasi eine Umschreibung von Zwangsarbeit. Das Papier soll die Zukunft der Erwerbslosen sein. So sehen es die Zukunftskommissionen Nordrhein-Westfalens und Bayerns vor.

'Der entstehende Anreiz, anstelle einer staatlicherseits angebotenen gemeinnützigen Ganztagstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt auch solche Angebote anzunehmen, die gegenwärtig [...] zumeist kaum in Betracht gezogen werden, kann ein erhebliches Beschäftigungspotenzial bei einer gleichzeitigen massiven Haushaltsentlastung mobilisieren', heißt es im Zukunftsbericht aus dem Hause des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU). Und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) präsentierte gerade den Abschlusbericht seiner Kommission, in dem eine 'intensivere Einforderung von Gegenleistung' für staatliche Transferzahlungen gefordert wird. Im Klartext: Künftig sollen Erwerbslose für eine Entlohnung auf Sozialhilfeniveau mindestens 30 Stunden pro Woche arbeiten. Diese 'Visionen' sind wenig überraschend: In den Kommissionen sitzen mit Hans-Werner Sinn vom IfO-Institut in München und Klaus F. Zimmermann vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin die ideologischen Rückendecker der Arbeitgeberseite.

Modellprojekte laufen längst, in Bayern unter dem Namen 'Job-Perspektive Plus', in Thüringen und Sachsen-Anhalt als 'Bürgerarbeit'. In Bad Schmiedeberg bei Wittenberg bereits seit September 2006. Die Bürgerarbeit deckt sich aber nicht völlig mit Workfare: Zunächst werden diejenigen mit guten Chancen am ersten Arbeitsmarkt herausgefiltert. Am Ende des Ausleseprozesses finden sich jene, die nach offizieller Deutung keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Sie sollen zusätzlich geschaffene Stellen bei Vereinen, Kirchen und Kommunen annehmen. Der durchschnittliche Bruttolohn (30-Stunden-Woche) liegt bei rund 810 Euro, abzüglich Sozialversicherung und Steuern. Arbeitslosenversicherung wird nicht gezahlt, da sonst Ansprüche entstünden. Arbeitsagenturen finanzieren die Jobs.

Die ersten Bad Schmiedeberger Erfolgsmeldungen klangen fantastisch: In drei Monaten war die Erwerbslosenquote von 15,6 auf 6,3 Prozent zurückgegangen. Freilich handelt es sich hier vor allem um statistische Kosmetik. 'Die Abgänge aus Arbeitslosigkeit gingen weit überwiegend in öffentlich geförderte Beschäftigung', so das Urteil des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Bürgerarbeit hat anders als Workfare die soziale Komponente, Erwerbslosen eine sinnvolle Beschäftigung anzubieten. Subjektiv wurde sie von den Betroffenen nicht als negativ empfunden. Den Workfare-Hardlinern hingegen geht es um Abschreckung. Qualifizierung spielt keine Rolle, die Menschen sollen nur dazu gebracht werden, auch für Löhne nur knapp über Hartz IV zu arbeiten: 'Die Androhung von Workfare-Jobs führt [...] dazu, dass die Akzeptanz von gering entlohnten Jobs im regulären Arbeitsmarkt steigt.'

Workfare stammt aus den USA und wird seit den 1990er Jahren von konservativer Politik als Blaupause für eine Verschärfung der Sozialgesetzgebung benutzt. Der Grundsatz der Workfare-Vertreter, dass nur Daumenschrauben Erwerbslose zum Arbeiten brächten, ist ebenso zynisch wie haltlos. Das IAB kommt zu dem Schluss, dass die 'mangelnde Aktivierung der Arbeitslosen nicht der Hauptgrund für die lang andauernde Arbeitslosigkeit ist'."

2009-08-02

Hugo von Hofmannsthal

MANCHE FREILICH...


Manche freilich müssen drunten sterben,
Wo die schweren Ruder der Schiffe streifen,
Andre wohnen bei dem Steuer droben,
Kennen Vogelflug und die Länder der Sterne.

Manche liegen immer mit schweren Gliedern
Bei den Wurzeln des verworrenen Lebens,
Andern sind die Stühle gerichtet
Bei den Sibyllen, den Königinnen,
Und da sitzen sie wie zu Hause,
Leichten Hauptes und leichter Hände.

Doch ein Schatten fällt von jenen Leben
In die anderen Leben hinüber,
Und die leichten sind an die schweren
Wie an Luft und Erde gebunden:

Ganz vergessener Völker Müdigkeiten
Kann ich nicht abtun von meinen Lidern,
Noch weghalten von der erschrockenen Seele
Stummes Niederfallen ferner Sterne.

Viele Geschicke weben neben dem meinen,
Durcheinander spielt sie alle das Dasein,
Und mein Teil ist mehr als dieses Lebens
Schlanke Flamme oder schmale Leier.

2009-08-01

GLAUBHAFT

was sagt mehr als tausend worte. kein bild, sondern tausendundeins worte. aber bringt das tausendunderste wort die andern tausend zum klingen. doch tausendundeins worte sagen mehr als tausend worte.