2009-08-04
DIE VERRÜCKTE
vor dem bahnhof friedrichstrasse kniet eine frau. sie ist zwischen fünfzig und sechzig jahre alt, vielleicht auch älter. sie ist dick und hat schon ganz graues, fast weisses haar. sie trägt halbschuhe, eine jeans und eine regenjacke. sie reckt die arme nach vorne und oben und murmelt leise vor sich hin. gerade als ich vorübergehe, scheint sie sich erheben zu wollen. sie macht mit dem linken bein eine art ausfallschritt, so dass sie nun auf einem bein steht und auf einem kniet. die leute, es ist ein lebhafter nachmittag unter der woche, sehen sich nach ihr um, werden aber kaum langsamer. in einige entfernung stehen menschen, die vielleicht eben noch passanten waren und gleich wieder welche werden, in kleinen gruppen oder allein. sie betrachten das schauspiel. vielleicht film auch jemand die szene, mit einem mobiltelefon oder einer versteckten kamera, vielleicht sieht ein wachmann die szene auf einem seiner monitore. da die frau nicht am boden liegt und sich zu erheben scheint, wenigstens rede ich mir das ein, setze ich meinen weg zur stadtbahn fort, tauche ein ins gewül der passagen mit ihrem lärm und den gerüchen, und bewege mich, einem tänzer gleich und sicherer als sonst, auf meinem weg durch die entgegenkommenden und meinen weg kreuzenden menschen. es war ein etwas kühler tag im mai, noch am morgen hatte es geregnet. jetzt schien zwar die sonne, aber der wind war unangenehm böig, er trieb die wolken, die sich zu gebirgen türmten, über den blauen himmel wie eisberge oder papierfetzen.
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