2010-09-15

HAAR - DAS DEMOGRAPHISCHE MUSICAL [END-WURF] - für Christoph Schlingensief

2040. ein heruntergekommener mehrgenerationen-slum am rand der grossstadt. berlin - ney york - tokio. die grenzen sind dicht, stacheldraht an allen zufahrtsstrassen. die graue generation begehrt auf.
"schafft zwei, drei, viele toupets!" und "ha, ha, haare her!" skandieren die rollators. sie sind beinahe die einzigen, die sich gegen die rohende apathie im ghetto stellen. immer wieder scheitern sie - an den polizeisperren, an defekten herzschrittmachern, an ihrer uneinigkeit. schliesslich verbünden sie sich mit den verfeindeten gerontos - im hinreissenden duett "du bist mein doppelherz" zwischen martin (rollators) und monika (gerontos).
haare im abfluss, haare auf den zähnen, ein haar in der suppe? jenseits der verwertbarkeit und des sozialverträglichen frühablebens geht die graue garde vorwärts zum letzten gefecht gegen die gemeinen seitenscheitler des lebens, die schon lange nicht mehr an der korrekten betonfrisur erkennbar sind.
im schlussduett "liebe ist stärker als ein stützstrumpf" bezeugen martin und monika die macht der liebe. alle stimmen ein. in einem berauschenden abschiedsreigen verbrennen rollators und gerontos gemeinsam ihre rentenversicherungsnachweise beim tanz um die tonne des vergessens und den agenda-marterpfahl, wo eine puppe des aktuellen regierungschefs ihrer bestimmung harrt. die grosse befreiung ist nahe.

"deutscher sein heisst indianer sein" (heiner müller)

(dies ist die veränderte version eines entwurfs für ein musical, das von der theaterkapelle berlin abgelehnt wurde)

| thomas wettengel © 2010-09-15 |

2010-09-10

SIEGEN UND SIEGEN LASSEN

jochen rindt ist tot. schon lange.

jochen rindt ist weltmeister. schon lange.

jochen rindt ist als toter weltmeister geworden. schon lange.

jochen rindt ist selig gesprochen worden. kürzlich.

jochen rindt ist auffindbar in der rubrik absolotion, unterabteilung seligsprechungen. durchklicken lohnt sich.

jochen rindts seligsprechung kann besichtigt werden. hier.

jochen rindt bleibt unvergessen. bis jetzt.

2010-09-03

REGNEN UND REGNEN LASSEN

so viel regen gab es selten, nein, so viel regen gab es vorher nie, nein, so viel regen gab es seit beginn der wetteraufzeichnungen nicht.

das muss der genauigkeit halber hinzugefügt werden. ja, dieser august war ein für das gebiet, auf dem sich heute die bundesrepublik deutschland breitmacht, ein sehr regenreicher. aber schon vor beginn der genauen wetteraufzeichnungen gab es regen, viel regen, viel mehr regen als nach dem beginn der wetteraufzeichnungen.

als es noch keinen august, weil noch keine monate gab, sondern höchstens jahreszeiten, hat es aller wahrscheinlichkeit nach auch schon geregnet. wahrscheinlich war es auch schon mal wärmer als in diesem jahrtausend. überhaupt.

seit die menschheit (gibt es eine elefantheit oder eine ameisenheit, was ist eine menschheit?) mit zeitabschnitten durchschnitten wird (oder sich selbst durchschneidet), werden die messergebnisse immer spektakulärer. das liegt nicht nur an immer ausgefeilteren messtechniken, sondern auch den zur verfügung stehenden, mit messergebnissen bis obenhin gefüllten zeitabschnitten seit beginn der wetteraufzeichnungen.

aber wer legt denn fest, was eine wetteraufzeichnung ist und was nicht? spektakuläre, verschriftlichte beobachtungen sind auch aus weit entfernten zeiten überliefert. sie lassen sich als dokumente vergangener klimakatastrophen mit etwas abweichenden deutungen lesen.

heute, so scheint es, halten viele menschen das klima für menschengemacht. in einer denkart, die durchaus etwas mit nordamerikanischem pragmatismus (und nordemerika ist, wie informierte zeitgenossen wissen, nicht das reich des bösen, sondern die wiederkehr europas als farce, um mit marxens 18. brumaire zu sprechen) und einem naiven hang zur "machbarkeit" zu tun hat, schicken sich mehr oder weniger selbsternannte eliten an, das wetter zu ändern.

das erinnert mich an den witz mit den beiden regenwürmern. sagt der eine: lass und eine lpg gründen. das sind, vorsichtig formuliert, die dimensionen.

übrigens leben wir, erdgeschichtlich gesehen, in einer kaltzeit. das sei, aller klimatologischen hysterie zum trotz, gesagt.

| thomas wettengel © 2010-09-03 |