2011-02-18

LESEN UND LESEN LASSEN (ANSTELLE EINER PEEPSHOW)

für feministische gemüter ist malaparte sicherlich ein graus.

für schwulstverächter ist DIE HAUT bestimmt keine geeignete lektüre.

wer antikisierende katastrophenbeschreibungen verabscheut, sollte sich gleich abwenden.

wer die gegenwart von grafen und baronen (auch als mittelbar durchs papier grinsende gespenster) nicht ausstehen kann, wird es schwer haben.

aber einige interessante sachen gibt es doch. wer kennt nicht den berühmten satz heiner müllers (der fast berühmter ist als sein unsterblicher name) "ich bin ein neger"? er könnte aus malapartes roman DIE HAUT stammen (deutsche erstausgabe im klangvollen stahlberg-verlag, seite 318 oben).

als plinius ist er nicht so gut, vielleicht, wenn er zuerst, und plinius nach ihm gelebt hätte. wer weiss. irgendwann wird dieses buch ja mal zuende sein.

| thomas wettengel © 2010-02-16 |

2011-02-10

FAHREN UND FAHREN LASSEN

seitdem die berliner s-bahn nur noch mit tempo 60 durch die gegend zuckelt, ist sie zur ausflugs- und bimmelbahn mutiert. sie bringt mich zwar irgendwo hin, und eigentlich ist ja der weg auch das ziel, aber manchmal ist auch das ziel der weg.

von spandau nach lichtenberg in 50 minuten, wer hätte das vor 200 jahren gedacht. oder vor 2 jahren. es gibt gegenden, durch die ich lieber schnell fahre. es gibt diese gegenden in berlin, die nichts als gegend sind, die einfach über- oder durchwunden werden müssen. nun sind die s-bahnen selbst zur wunde geworden, zur rollenden wunde, oder zu maden, die durch die der kriegsführung der bahn gegen die öffentlichkeit geschuldeten wunden kriechen. aber diese maden fühlen sich nicht wirklich wohl, und das sollten sie doch, wenn sie durch wunden kriechen. ach, verfluchte biologismen. früher raste die s-bahn noch durch den todesstreifen, als würde sie selbst irgendwohin flüchten. verdammt, schon wieder.

ich kam von einer senke in der heerstrasse. anschliessend war die mannschaft noch in einer spandauer kneipe, in der es die angeblich besten bouletten des bezirks gab. ich ass auch diese. mit reichlich senf geht so ziemlich alles.

die fahrt von spandau nach lichtenberg hat für die letzten 4 kapitel aus HERR LEHMANN gereicht. das muss man sich mal vorstellen. andererseits, das ist auch einfache kost. nur nicht so oft aus dem fenster sehen: erst faschistische sporttempel, dann tiefstes charlottenburg (dessen anblick mich zu dem schlechten wortwitz "wo kommen denn die schalotten her - na aus schalottenburg" verleitete), ein ufo-bahnhof, die museumsinsel mit dem auf links verkehrten pergamonaltar, plattenbauten.

es gibt gegenden, die nur noch durch ihre verkehrsmittel zu beleidigen sind. berlin ist so eine gegend.

| thomas wettengel © 2011-02-10 |

2011-02-06

ABHACKEN

schwanz abhacken! die mehr oder weniger offen ausgesprochene empfehlung für eine reform des strafgesetzbuchs frei nach schnauze ist bekannt.

was sollte dann mit den ladendieben passieren? vielleicht sollte nicht gleich der arm abgehackt werden, sondern erstmal der kleine finger? erkenne ich in zukunft jemanden, der dreimal geklaut hat, daran, dass er nur noch eine hand hat?

und was wird aus den rasern? wer dreimal geblitzt wird, dem wird prophylaktisch der rechte fuss abgehackt? unter narkose, versteht sich. die kleinen und mittelständischen automobilkonzerne werden nicht einverstanden sein. ich sehe die besorgten mienen der schuhfabrikanten und steuereintreiber.

und was wird aus den bedenkenträgern?


| thomas wettengel © 2011-02-06 |

2011-02-03

LESEN UND LESEN LASSEN (ANSTELLE EINER VORSCHAU)

DIE WOLGA ENTSPRINGT IN EUROPA. das wissen die wenigsten. wo ein bonaparte, da irgendwann ein malaparte. einen schöneren scheinnamen hätte sich der halbe sachse gar nicht geben können. einen grössenwahnsinnigeren allerdings auch nicht.

seine kriegsreportagen habe ich gelesen, war es letztes jahr, oder vor zwei jahren? die aktuelle LETTRE hat mich dann bewegt, mir doch endlich mal einen malaparte zuzulegen: DIE HAUT. ein grosses organ fordert einen grossen roman. mal sehen. das groteske sauna-bild hat mich wohl zum kauf verleitet. der nackte schriftsteller mit pflanzlichem peitschenbündel vor hütte und mitten im winterlichen wald. eine damalige flugstunde weiter der ganze terror des vernichtungskriegs.

dass es ein tscheche ist, der malaparte bespricht, war wohl auch ein beweggrund. wie subtil doch die kauflust ist. und wie unabhängig von der bewussten erinnerung. fühmann fällt mir erst jetzt ein. bei beiden die faschistische jugend. beide versuchen sich, malaparte noch im faschismus, in eine entfernung hinein zu schreiben. bei fühmann ist es das bergwerk, bei malaparte...

"hier kommen keine historischen persönlichkeiten vor. es gibt darin ebenfalls [wie in KAPUTT] grosse gesellschaftliche anlässe, bei denen die neapolitanischen adligen mit den offizieren der amerikanischen armee zusammentreffen; doch ob die namen, die sie tragen, wahr oder erfunden sind, hat hier keinerleit bedeutung. hat jack hamilton, der amerikanische colonel, der malaparte das ganze buch hindurch begleitet, wirklich existiert? wenn ja, hiess er jack hamilton? diese fragen sind ganz und gar belanglos. wir haben das den journalisten und memoirenschreibern vorbehaltene terrain nämlich vollkommen verlassen" (kundera, in: LETTRE, winter 2010, 43)

die zsolnay-ausgabe ist bestimmt teuer, dachte ich mir, und bestellte eine deutsche erstausgabe. wenn sich das mal nicht rächt. ich wünsche mir jedenfalls viel spass.

| thomas wettengel © 2011-02-03 |

2011-02-01

HANDGEMACHTE KROSSE

Diese Wortfolge hörte ich zum ersten Mal, als ich in Bremen zu Besuch war. Meine Freundin wohnt in Bremen. Warum sollte ich sonst nach Bremen fahren? Handgemachte Krosse. In Berlin heißt das einfach Schrippe. Und fertig. Handgemachte Krosse. Für das Wort „handgemachte“ nehmen die Bremer Bäcker gleich zehn Cent mehr als die Berliner für ihre Schrippe. Überhaupt ist hier alles, was nach Nahrungsmittel aussieht oder sich so nennt, teurer als in Berlin. In der Bäckerei Lade am Buntentorsteinweg sind die Handgemachten besonders kross, oder die Krossen besonders handgemacht. Jedenfalls sind die Schrippen im Philosophenviertel teurer als im Flüsseviertel. Obwohl beides in der Neustadt liegt, wie ich inzwischen gelernt habe. Philosophen zählen wohl mehr als Flüsse. Wenn sich das nicht mal rächt. Die Weser ist nämlich ein richtiger Fluss.

| thomas wettengel © 2010-01-26 |