David Safier: MIESES KARMA. Roman
Dem Rezensenten liegt die 12. Auflage des 2007 erschienen Romans vor. Sie stammt aus dem Jahre 2008. Es handelt sich also um einen Bestseller, der als solcher beworben wurde und wird. Namentlich in den „555 Dingen, die man in Bremen und Umgebung gemacht haben muss“, wird die Lektüre empfohlen. Zu Unrecht.
„Der Tag, an dem ich starb, hat nicht wirklich Spaß gemacht. Und das lag nicht nur an meinem Tod. Um genau zu sein: Der schaffte es gerade so mit Ach und Krach auf Platz sechs der miesesten Momente des Tages. Auf Platz fünf landete der Augenblick, in dem Lilly mich aus verschlafenen Augen ansah und fragte: 'Warum bleibst du heute nicht zu Hause, Mama? Es ist doch mein Geburtstag?'“ (1. Kapitel, 7)
So beginnt der 58 Kapitel umfassende, sich meist in schnoddrigen, launisch daher kommenden Dialogen abspulende Roman. Die von der Klosettschüssel einer abstürzenden russischen Raumstation erschlagene Fernsehmoderatorin Kim Lange durchlebt in verschiedenen und verscheidenden Lebensformen ihr Nachleben, unterstützt von einer Reinkarnation Casanovas. So weit, so langweilig und belanglos der Plot.
„Aber ich widerstand dem Schmerz und krallte mich im Boden fest. So hatte ich meinen Körper nicht mehr überwunden, seit ich mit zwölf Jahren bei 'Wahrheit oder Pflicht' den dicken Dennis küssen musste.“ (10. Kapitel, 51)
Auch der Rezensent widersteht noch dem Schmerz und liest weiter. Es ist ja für einen guten Zweck. Soll er jetzt über dicke Jugendliche lachen, die Dennis heißen? Er hat sich schon besser amüsiert.
„Ich hatte natürlich schon mal von Karma gehört. Alex hatte ein Buch über Buddhismus gelesen, als er tief in seiner Biochemie-Studium-Krise steckte. Wenn ich hingegen mal eine Krise schob, las ich lieber Bücher mit Titeln wie 'Sei lieb zu dir selbst', 'Sei noch lieber zu dir selbst' und 'Vergiss die anderen'.“ (21. Kapitel, 94)
Ein Panorama der Belanglosigkeiten, Schnipsel des Privaten werden dem mehr oder weniger geneigten Leser zum Fraß vorgeworfen. Jeder Drogeriemarkt hat ein besser sortiertes Hundefuttersortiment. Dass es in einem derart hilflosen Plot auch entsprechend hilflose Rückblenden und Querverweise auf Literatur gibt (hier von Intertextualität zu sprechen verbietet sich), war zu erwarten.
„'Eine Kutsche ohne Pferde?', fragte Casanova erstaunt, 'und dabei auch noch so außerordentlich scheußlich ausehend?' Ich vergaß immer wieder, dass der Signore aus einer anderen Zeit stammte und sich an dieses Jahrtausend erst mal gewöhnen musste.“ (29. Kapitel, 143)
Wir konnte der Leser das vergessen!? Und wie einfallsreich David Safier hier ist! Eine 'Kutsche ohne Pferde' – so werden Horizont und Herkunft der Figuren platt und holzhammerartig eingeimpft. Casanova ist noch die sympathischste Figur, was vielleicht auch daran liegt, dass der Autor seine fiktiven Notizen oftmals in Fußnoten auftauchen lässt. Der Rezensent wünschte sich das ganze Buch als Fußnote.
„Um eine Hochzeit zu torpedieren, gibt es nichts Besseres, als das Hochzeitskleid zu zerstören.“ (38. Kapitel, 179)
Mit Ratschlägen wird der Leser durch die Hauptfigur reichlich versorgt. So nimmt das Buch nach und nach die Gestalt dessen an, was es (möglicherweise) bekämpfen wollte. Oder wie es Carl Schmitt einst formulierte: „Der Feind ist die eigene Frage als Gestalt.“
„Aber das olle Nirwana kämpfte zurück.
Und zwar indem es immer sanfter wurde.
Immer liebevoller.
Es wollte mich einfach nicht mehr loslassen. Ich hatte die Aufnahmekriterien erfüllt und sollte den Club nicht mehr verlassen.
Ich hatte noch nie etwas erlebt, was so überzeugend mit den Waffen Sanftheit und Liebe kämpfen konnte wie das Nirwana.
Ich aber konzentrierte mich auf Lilly: auf ihre traurigen Augen, ihre weiche Kinderhaut, ihre süße Stimme...
Das Nirwana hatte nicht den Hauch einer Chance gegen die Liebe zu meiner Tochter.“ (42. Kapitel, 193)
Nicht ohne meine Tochter, diesmal im Soap-Format. Warum kaufen Menschen so etwas? Warum fällt dem Autor nicht mal eine interessante Wendung ein? Warum kann die (deutsche) Mutter sich nicht mal von ihrem nervigen Kind abwenden und ins Nirwana wandern? Fragen über Fragen.
„Wütend fuhr ich mit der Straßenbahn zu Daniel (ihrem Liebhaber zu Lebzeiten). Ich war tierisch sauer darauf, dass Typen wie Rico mir beziehungsweise Maria das Leben vermiesten. Am liebsten hätte ich Rico das Herz rausgerissen, es in kleine Einzelteile zerhäckselt, anschließend in einen Mörser getan, es dort zu Brei zerstampft, den Brei dann an einen Hund verfüttert, den ich anschließend mit einer Dampfwalze überfahren hätte.“ (50. Kapitel, 228)
Was der Hund damit zu tun hat, weiß der Rezensent nicht. Was der Leser nachvollziehen kann (zum Beispiel Hassgefühle der Hauptfigur gegen augenscheinlich bösartig agierende Mitmenschen), wird ihm (Stichwort Dampfwalze) ausgewalzt, bis es so platt ist wie eine Seite aus David Safiers Buch. Doch das ist nur konsequent, findet der Rezensent, betrachtet man das Moderatoren- und Lebensratgeber-Niveau des gesamten Textes. Alles endet folgerichtig etwas unironisch in einem glücklichen Kleinfamilien-Finale und dem Lebensratgeber-Satz, der alle Lebensratgeber-Literatur dieser Welt beschreibt:
„Fürs Nirwana braucht man kein Nirwana!“ (58. Kapitel, 283)
Dieses Buch braucht man ebenfalls nicht. Oder um es mit Baudelaire zu sagen: „Langeweile ist der über die Zeit verteilte Schmerz.“
[David Safier: Mieses Karma. Roman, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2007; nicht kaufen!!!]
| thomas wettengel © 2011-06-26 |
2011-06-26
2011-06-06
LESEN UND LESEN LASSEN
Ralf Husmann: Nicht mein Tag. Roman
Ralf Husmann ist einer der führenden Komik-Autoren der BRD. Die Figur Stromberg und der Führer-Büro-Kasper gehen auf sein Konto. Auch viel Geld, da das heute zu besprechende Buch sehr oft verkauft wurde.
"Rolf Zuckowski und alle seine Freunde sollen eines schrecklichen Todes sterben." (30) Das ist einer der großen Wünsche der Hauptfigur des Romans, Till Reiners, der durch Zufall vom Bankangestellten zur Geisel, zum Komplizen und Flüchtling vor seinem bisherigen Spießerleben wird.
"Wer überfällt denn heute noch Banken und nimmt Geiseln?" (60) Der eine oder andere. Der Anlass ist vielleicht etwas bemüht, aber was Husmann daraus macht, ist mehr, als ich angesichts seiner Arbeiten fürs TV erwartet hatte.
"Nappo ist vermutlich zu jung, um noch Autoquartett gespielt zu haben." (90) Nappo ist der Name des ebenso brutalen wie prolligen Bankräubers, mit dem der Bankangestellte Reiners die aufregendste Zeit seines Lebens verbringen wird.
"Je länger Till auf die Landstraße vor ihm guckt, desto mehr hat er den Eindruck, dass sie direkt aus der Schnauze des Citroen kommt, dass der Wagen selbst die Straße produziert, auf der er fährt." (120) Der brave Bankangestellte ist nun schon ein brutaler Autoräuber. Er sehnt sich nach einer Zeit, als alles einfach war und die Autos noch nach Nationen unterscheidbar waren - wie im Autoquartett. Auf dem Überwachungsvideo der Tankstelle ist deutlich zu sehen, wie Till Reiners den Fahrer des Citroen niederschlägt.
"Zwischendurch reden beide mit Saddam und Hitler." (150) Das sind doch mal Namen für Schäferhunde. Nappo und ein dubioser Autohändler machen ein Geschäft klar. Der spießige Franzose wird gegen ein protziges US-Modell ausgetauscht. Till muss warten und darf nur zusehen. Dabei möchte er so gerne mitspielen.
"Dieses Mal macht Jessica alles richtig." (180) Die junge Bankangestellte, von der Till Reiners träumte, als er noch Bankangestellter war, träumt von einer TV-Karriere. Diese wird aus einem zusammengeschnittenen Beitrag voller Verdächtigungen gegen Till Reiners bestehen.
"Die lustige Nadine wollte in ein schönes Hotel." (210) Nappos Schnitte macht mit Nappo rum, und Till darf wieder nicht dabei sein. Er stört und kotzt. Doch nicht mehr lange.
"Der seriöse Ton der Artikel stellt sie völlig falsch dar." (240) Geschlechter-Rollen greifen, das spürt Jessica, als sie sich als Vamp erlebt, der einen unschuldigen Familienvater zum Bankraub verleitet hat. Jessica beginnt die Stars zu verstehen. Irgendwann ruft ein seriös klingender Mann an. Es läuft auf Nacktfotos hinaus.
"Nappo war die Weiterentwicklung von Dirk Manthey, der Till damals in Südfrankreich wegen der Sauerländer Schwestern hatte sitzen lassen und damit nicht nur 'Copyright' beendete, sondern auch Tills komplette Musikkarriere." (270) Die Reise führt nach Westeuropa, schließlich in den Süden Frankreichs und in eine Zeit neben der Zeit, in der Till Reiners eingeschlossen ist. Anders gesagt: "was nicht ist, ist möglich", wie die Einstürzenden Neubauten singen. Aber Nappo ist höchstens eine üble Farce auf Dirk Manthey. Und ihre Flucht ist eine auf die großen Zeiten des kleinen Terrors im Westeuropa der 70er und 80er Jahre. Der Ausflug in die Freiheit endet im Schusswechsel.
"Kurt Bergmeister stellt sich Miriam Reiners vor, in dem T-Shirt und der grauen Jogginghose, die sie getragen hat bei seinem Besuch in ihrer Wohnung, um ihr die Fotos aus dem Kleingarten zu zeigen, vor drei Tagen, als der Plüschaffe." (300) Der ermittelnde Kriminalbeamte ist eine Koryphäe des Wartens mit einer personenbezogenen Phantasie. Er kann sich nur reale Personen vorstellen. Zum Beispiel Till Reiners Frau, in seinem Arm, während Herr Reiners im Gefängnis sitzt. Und dann muss er nach Frankreich, der Mustang ist gefunden worden, die Story neigt sich ihrem dramatischen Ende zu.
"Miriam steht in der Wohnungstür und sieht aus wie immer, während Till so aussieht wie noch nie." (330) Zurück bleiben ein Tattoo auf Tills Haut (das chinesische Zeichen für Mut, wie Nadine ihm erklärte, auf ihrer gemeinsamen Flucht in der Flucht) und eine Stadt Osthofen, in der es die Mülltonnen gut haben sollen.
[ralf husmann: nicht mein tag. roman, frankfurt am main: s. fischer 2008, antiquarisch ab 4 euro oder geschenkt]
| thomas wettengel © 2011-0606 |
Ralf Husmann ist einer der führenden Komik-Autoren der BRD. Die Figur Stromberg und der Führer-Büro-Kasper gehen auf sein Konto. Auch viel Geld, da das heute zu besprechende Buch sehr oft verkauft wurde.
"Rolf Zuckowski und alle seine Freunde sollen eines schrecklichen Todes sterben." (30) Das ist einer der großen Wünsche der Hauptfigur des Romans, Till Reiners, der durch Zufall vom Bankangestellten zur Geisel, zum Komplizen und Flüchtling vor seinem bisherigen Spießerleben wird.
"Wer überfällt denn heute noch Banken und nimmt Geiseln?" (60) Der eine oder andere. Der Anlass ist vielleicht etwas bemüht, aber was Husmann daraus macht, ist mehr, als ich angesichts seiner Arbeiten fürs TV erwartet hatte.
"Nappo ist vermutlich zu jung, um noch Autoquartett gespielt zu haben." (90) Nappo ist der Name des ebenso brutalen wie prolligen Bankräubers, mit dem der Bankangestellte Reiners die aufregendste Zeit seines Lebens verbringen wird.
"Je länger Till auf die Landstraße vor ihm guckt, desto mehr hat er den Eindruck, dass sie direkt aus der Schnauze des Citroen kommt, dass der Wagen selbst die Straße produziert, auf der er fährt." (120) Der brave Bankangestellte ist nun schon ein brutaler Autoräuber. Er sehnt sich nach einer Zeit, als alles einfach war und die Autos noch nach Nationen unterscheidbar waren - wie im Autoquartett. Auf dem Überwachungsvideo der Tankstelle ist deutlich zu sehen, wie Till Reiners den Fahrer des Citroen niederschlägt.
"Zwischendurch reden beide mit Saddam und Hitler." (150) Das sind doch mal Namen für Schäferhunde. Nappo und ein dubioser Autohändler machen ein Geschäft klar. Der spießige Franzose wird gegen ein protziges US-Modell ausgetauscht. Till muss warten und darf nur zusehen. Dabei möchte er so gerne mitspielen.
"Dieses Mal macht Jessica alles richtig." (180) Die junge Bankangestellte, von der Till Reiners träumte, als er noch Bankangestellter war, träumt von einer TV-Karriere. Diese wird aus einem zusammengeschnittenen Beitrag voller Verdächtigungen gegen Till Reiners bestehen.
"Die lustige Nadine wollte in ein schönes Hotel." (210) Nappos Schnitte macht mit Nappo rum, und Till darf wieder nicht dabei sein. Er stört und kotzt. Doch nicht mehr lange.
"Der seriöse Ton der Artikel stellt sie völlig falsch dar." (240) Geschlechter-Rollen greifen, das spürt Jessica, als sie sich als Vamp erlebt, der einen unschuldigen Familienvater zum Bankraub verleitet hat. Jessica beginnt die Stars zu verstehen. Irgendwann ruft ein seriös klingender Mann an. Es läuft auf Nacktfotos hinaus.
"Nappo war die Weiterentwicklung von Dirk Manthey, der Till damals in Südfrankreich wegen der Sauerländer Schwestern hatte sitzen lassen und damit nicht nur 'Copyright' beendete, sondern auch Tills komplette Musikkarriere." (270) Die Reise führt nach Westeuropa, schließlich in den Süden Frankreichs und in eine Zeit neben der Zeit, in der Till Reiners eingeschlossen ist. Anders gesagt: "was nicht ist, ist möglich", wie die Einstürzenden Neubauten singen. Aber Nappo ist höchstens eine üble Farce auf Dirk Manthey. Und ihre Flucht ist eine auf die großen Zeiten des kleinen Terrors im Westeuropa der 70er und 80er Jahre. Der Ausflug in die Freiheit endet im Schusswechsel.
"Kurt Bergmeister stellt sich Miriam Reiners vor, in dem T-Shirt und der grauen Jogginghose, die sie getragen hat bei seinem Besuch in ihrer Wohnung, um ihr die Fotos aus dem Kleingarten zu zeigen, vor drei Tagen, als der Plüschaffe." (300) Der ermittelnde Kriminalbeamte ist eine Koryphäe des Wartens mit einer personenbezogenen Phantasie. Er kann sich nur reale Personen vorstellen. Zum Beispiel Till Reiners Frau, in seinem Arm, während Herr Reiners im Gefängnis sitzt. Und dann muss er nach Frankreich, der Mustang ist gefunden worden, die Story neigt sich ihrem dramatischen Ende zu.
"Miriam steht in der Wohnungstür und sieht aus wie immer, während Till so aussieht wie noch nie." (330) Zurück bleiben ein Tattoo auf Tills Haut (das chinesische Zeichen für Mut, wie Nadine ihm erklärte, auf ihrer gemeinsamen Flucht in der Flucht) und eine Stadt Osthofen, in der es die Mülltonnen gut haben sollen.
[ralf husmann: nicht mein tag. roman, frankfurt am main: s. fischer 2008, antiquarisch ab 4 euro oder geschenkt]
| thomas wettengel © 2011-0606 |
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