2011-06-26

LESEN UND LESEN LASSEN

David Safier: MIESES KARMA. Roman


Dem Rezensenten liegt die 12. Auflage des 2007 erschienen Romans vor. Sie stammt aus dem Jahre 2008. Es handelt sich also um einen Bestseller, der als solcher beworben wurde und wird. Namentlich in den „555 Dingen, die man in Bremen und Umgebung gemacht haben muss“, wird die Lektüre empfohlen. Zu Unrecht.

„Der Tag, an dem ich starb, hat nicht wirklich Spaß gemacht. Und das lag nicht nur an meinem Tod. Um genau zu sein: Der schaffte es gerade so mit Ach und Krach auf Platz sechs der miesesten Momente des Tages. Auf Platz fünf landete der Augenblick, in dem Lilly mich aus verschlafenen Augen ansah und fragte: 'Warum bleibst du heute nicht zu Hause, Mama? Es ist doch mein Geburtstag?'“ (1. Kapitel, 7)

So beginnt der 58 Kapitel umfassende, sich meist in schnoddrigen, launisch daher kommenden Dialogen abspulende Roman. Die von der Klosettschüssel einer abstürzenden russischen Raumstation erschlagene Fernsehmoderatorin Kim Lange durchlebt in verschiedenen und verscheidenden Lebensformen ihr Nachleben, unterstützt von einer Reinkarnation Casanovas. So weit, so langweilig und belanglos der Plot.

„Aber ich widerstand dem Schmerz und krallte mich im Boden fest. So hatte ich meinen Körper nicht mehr überwunden, seit ich mit zwölf Jahren bei 'Wahrheit oder Pflicht' den dicken Dennis küssen musste.“ (10. Kapitel, 51)

Auch der Rezensent widersteht noch dem Schmerz und liest weiter. Es ist ja für einen guten Zweck. Soll er jetzt über dicke Jugendliche lachen, die Dennis heißen? Er hat sich schon besser amüsiert.

„Ich hatte natürlich schon mal von Karma gehört. Alex hatte ein Buch über Buddhismus gelesen, als er tief in seiner Biochemie-Studium-Krise steckte. Wenn ich hingegen mal eine Krise schob, las ich lieber Bücher mit Titeln wie 'Sei lieb zu dir selbst', 'Sei noch lieber zu dir selbst' und 'Vergiss die anderen'.“ (21. Kapitel, 94)

Ein Panorama der Belanglosigkeiten, Schnipsel des Privaten werden dem mehr oder weniger geneigten Leser zum Fraß vorgeworfen. Jeder Drogeriemarkt hat ein besser sortiertes Hundefuttersortiment. Dass es in einem derart hilflosen Plot auch entsprechend hilflose Rückblenden und Querverweise auf Literatur gibt (hier von Intertextualität zu sprechen verbietet sich), war zu erwarten.

„'Eine Kutsche ohne Pferde?', fragte Casanova erstaunt, 'und dabei auch noch so außerordentlich scheußlich ausehend?' Ich vergaß immer wieder, dass der Signore aus einer anderen Zeit stammte und sich an dieses Jahrtausend erst mal gewöhnen musste.“ (29. Kapitel, 143)

Wir konnte der Leser das vergessen!? Und wie einfallsreich David Safier hier ist! Eine 'Kutsche ohne Pferde' – so werden Horizont und Herkunft der Figuren platt und holzhammerartig eingeimpft. Casanova ist noch die sympathischste Figur, was vielleicht auch daran liegt, dass der Autor seine fiktiven Notizen oftmals in Fußnoten auftauchen lässt. Der Rezensent wünschte sich das ganze Buch als Fußnote.

„Um eine Hochzeit zu torpedieren, gibt es nichts Besseres, als das Hochzeitskleid zu zerstören.“ (38. Kapitel, 179)

Mit Ratschlägen wird der Leser durch die Hauptfigur reichlich versorgt. So nimmt das Buch nach und nach die Gestalt dessen an, was es (möglicherweise) bekämpfen wollte. Oder wie es Carl Schmitt einst formulierte: „Der Feind ist die eigene Frage als Gestalt.“

„Aber das olle Nirwana kämpfte zurück.
Und zwar indem es immer sanfter wurde.
Immer liebevoller.
Es wollte mich einfach nicht mehr loslassen. Ich hatte die Aufnahmekriterien erfüllt und sollte den Club nicht mehr verlassen.
Ich hatte noch nie etwas erlebt, was so überzeugend mit den Waffen Sanftheit und Liebe kämpfen konnte wie das Nirwana.
Ich aber konzentrierte mich auf Lilly: auf ihre traurigen Augen, ihre weiche Kinderhaut, ihre süße Stimme...
Das Nirwana hatte nicht den Hauch einer Chance gegen die Liebe zu meiner Tochter.“ (42. Kapitel, 193)

Nicht ohne meine Tochter, diesmal im Soap-Format. Warum kaufen Menschen so etwas? Warum fällt dem Autor nicht mal eine interessante Wendung ein? Warum kann die (deutsche) Mutter sich nicht mal von ihrem nervigen Kind abwenden und ins Nirwana wandern? Fragen über Fragen.

„Wütend fuhr ich mit der Straßenbahn zu Daniel (ihrem Liebhaber zu Lebzeiten). Ich war tierisch sauer darauf, dass Typen wie Rico mir beziehungsweise Maria das Leben vermiesten. Am liebsten hätte ich Rico das Herz rausgerissen, es in kleine Einzelteile zerhäckselt, anschließend in einen Mörser getan, es dort zu Brei zerstampft, den Brei dann an einen Hund verfüttert, den ich anschließend mit einer Dampfwalze überfahren hätte.“ (50. Kapitel, 228)

Was der Hund damit zu tun hat, weiß der Rezensent nicht. Was der Leser nachvollziehen kann (zum Beispiel Hassgefühle der Hauptfigur gegen augenscheinlich bösartig agierende Mitmenschen), wird ihm (Stichwort Dampfwalze) ausgewalzt, bis es so platt ist wie eine Seite aus David Safiers Buch. Doch das ist nur konsequent, findet der Rezensent, betrachtet man das Moderatoren- und Lebensratgeber-Niveau des gesamten Textes. Alles endet folgerichtig etwas unironisch in einem glücklichen Kleinfamilien-Finale und dem Lebensratgeber-Satz, der alle Lebensratgeber-Literatur dieser Welt beschreibt:

„Fürs Nirwana braucht man kein Nirwana!“ (58. Kapitel, 283)

Dieses Buch braucht man ebenfalls nicht. Oder um es mit Baudelaire zu sagen: „Langeweile ist der über die Zeit verteilte Schmerz.“

[David Safier: Mieses Karma. Roman, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2007; nicht kaufen!!!]


| thomas wettengel © 2011-06-26 |

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