Wer wissen will, warum er/sie falsch studiert hat, der lese Ralf Klausnitzers Artikel im FREITAG. Wer wissen will, warum ein Geisteswissenschaftler keine große Lesergemeinde findet, ebenso. Wie sollen Wissenschaftler entscheiden,
ob Tagungsthemen wie 'Literatur und Nichtwissen' oder 'Die Diziplinierung der Wahrnehmung in Mediengesellschaften von der Antike bis in die Gegenwart' tatsächlich einer längerfristig entwickelten Problemstellung entstammen oder lediglich auf den durchfahrenden Zug konjunktureller Aufmerksamkeitssteigerung aufspringen? Und wie lässt sich angesichts eines immer rascheren Wechsels von spannenden Gegenständen und ihrer binnen einer Konferenz vollzogenen Bearbeitung so etwas wie Kontinuität und Regelbewusstsein herstellen, das für Bildung als dem wichtigsten Gut einer Gesellschaft einfach unerlässlich ist und das vor allem die Investition von Zeit und Aufmerksamkeit verlangt?
Wer in den Genuss eines Grundkurses bei Ralf Klausnitzer gekommen ist, weiß, wovon die Rede ist, wenn 'Regelbewusstsein' und 'Investition von Zeit und Aufmerksamkeit' angesprochen werden. Eine Seminararbeit, mit der ich schon sehr zufrieden war, gab Ralf Klausnitzer mir zurück mit dem Hinweis, hier und dort noch einmal genau nachzusehen. 'Eine 1,0 würde ich mir selbst auch nicht geben.' (O-Ton Klausnitzer) Wer bei Ralf Klausnitzer studiert (hat), hat am eigenen Leib erfahren, was zeitliche Investitionen sind.
Ralf Klausnitzer beschreibt die 'Kampfzone', in der sich die Protagonisten des Wissenschaftsbetriebs permanent zu positionieren haben. Sarkastisch positioniert sich auch Klausnitzer - indem er das Konzept 'Kampfzone' inklusive Tagungskultur und innovativ klingender Themenfelder als unvereinbar mit dem Konzept 'Wissen' darstellt.
Jede nachfolgende Generation muss die Chance haben, den Reflexionsstand ihrer Vorgänger zu erreichen. Was aber geschieht, wenn dieser Reflexionsstand durch das Spiel der gegenseitigen Überbietung und ständigen Erweiterung nicht mehr zu erkennen ist? Woran sollen sich Studierende halten, wenn sich ihre akademischen Lehrer als gut dotierte Fellows in Forschungszentren flüchten, um (entbunden von ihren Lehrverpflichtungen) den nächsten erkenntnistheoretischen 'turn' vorzubereiten?
Das WIE, WAS, WOHER, WOHIN und WARUM des Wissens erfordere eine 'Kultur der Aufmerksamkeit', die eben nicht durch 'riskantes Denken von Individuen' (Gumbrecht) zu leisten sei. Die Lehrveranstaltung seien die wirklich wichtigen 'Spielwiesen', auf denen - so Klausnitzers konservative Formulierung - 'Neue Ideen' gemeinsam mit den Studierenden, den zukünftigen Lehrenden, den nachgeborenen Lernenden, zu testen sind.
Ralf Klausnitzers Artikel ist ein Plädoyer für eine Generationengerechtigkeit, ja für einen Generationenvertrag, den eine selbst ernannte 'Wissensgesellschaft' bei Strafe ihres Untergangs auszuhandeln hat.
Ich selbst entschied mich, während ich noch an meiner Magisterarbeit schrieb, schon gegen eine wissenschaftliche Karriere, nicht zuletzt angesichts der ebenso hartnäckig wie eilfertig betriebenen Netzwerkerei meiner Kommilitonen. Ich befürchtete Lachattacken an den unpassendsten Stellen. Mir fehlte wohl der Ernst.
Cassirer wusste, dass Geschichte etwas ist, was wir uns erarbeiten müssen.
| thomas wettengel © 2010-04-07 |
2010-04-07
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