Frigga Haug forderte auf ihrer Eröffnungsrede zum 3. Deutschen Sozialforum "Ein gutes Leben" und "Teilzeitarbeit für alle". Muss die Gesellschaft sich "um die Sonne der Arbeit drehen", um ihr Gleichgewicht zu finden (Marx)? Dass die kapitalistische Gesellschaft aus den Fugen ist, scheint ihr klar. Gibt es zu wenig Arbeit?
'Unserer Gesellschaft geht die Arbeit aus', rufen seit etwa 25 Jahren die Sozialwissenschaftler als handle es sich um ein Bergwerk, das erschöpft ist. Sie bemühen sich, einen Gesellschaftszusammenhalt anders zu finden, nicht über Arbeit, sondern vielleicht über Kommunikation oder über den Konsum und so das Trauerspiel in einem Wellnesscenter zu beenden.
Das Bergwerk als Metapher hat sich seit den Tagen der Jenaer Frühromantik jedenfalls nicht erschöpft. Erschöpft hat sich auch nicht die Prosaik der Marxschen Analyse mit ihren erfrischenden Perspektiven, z.B. auf die Arbeitslosigkeit. Die für das Überleben notwendige Arbeitszeit hat sich eben stark reduziert (notwendige Arbeit). Wer hätte das gedacht? Frigga Haug macht den Mangel an Euphorie bei vielen Menschen angesichts der vielen freien Zeit für viele Menschen an der kapitalistischen Bestimmung der Arbeit als Lohnarbeit fest. Hoffnung auf Anerkennung gibt es nurmehr für die besonders lange Arbeitenden.
So bedeutet Arbeitslosigkeit eine Freisetzung als Beraubung, eine Tragödie diesmal für die Arbeitenden.
Wer wie die deutsche Bundesregierung in dieser Situation an Verlängerung der Wochen- und Lebensarbeitszeit festhalte, so Haug, handle geradezu widersinnig. Immer weniger Hamster rotieren immer schneller, während gleichzeit immer mehr Hamster in den Ecken sitzen und im Fernsehen beobachten, wie dann und wann ein Hamster aus dem Laufrad fliegt.
Die lange Zeit von Hartz IV hat [...] ein Flachland an Resignation und Lähmung hervorgebracht, allenfalls unterbrochen von trotzigen Rufen einiger weniger, dass Arbeitslosigkeit ja das Recht auf Faulheit gewähre. Die Rufe werden in der Bedrohtheit durch die Krise immer leiser. Solidarität schrumpft. Rette sich wer kann.
Frigga Haug sieht die Chance bei Rosa Luxemburg (von der man/frau im Moment nicht weiß, ob sie wirklich in Berlin-Friedrichsfelde begraben ist oder irgendwo umgeht). Die 'sozialen Garantien' des Lebens müssten für alle 'selbstverständlich' sein, um sie in die Lage zu versetzen, sich um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu kümmern, was für Frigga Haug heißt: Politik.
Teilzeitarbeit für alle, um auf die de/zentrale Losung zurückzukommen, macht emanzipations- und gesundheitspolitisch Sinn. Die meisten Teilzeitarbeitsplätze, so eine von ihr aufgeführte Statistik werden von Frauen besetzt, was sie - unter den gegenwärtigen sozialen/sozialpsychologischen Bedingungen - abwertet. Warum müssen sich Frauen als 'Zuverdienerinnen' beschimpfen lassen? Warum arbeiten sich Männer tot, nur um nicht aus ihrer Rolle als familiärer Ernährer zu fallen? Auf den ersten Blick erscheint die Teilzeitarbeit heute als der Inbegriff dessen, was Vollzeitarbeiter fürchten.
Das Leben ist mehr als Erwerbsarbeit - ihre Bedeutung gehört abgewertet.
Es gibt viel Arbeit, die als solche gar nicht an/erkannt wird. Ich sorge mich um Freunde und Angehörige, für das Lebendige um mich. Ist das nicht auch Arbeit? Vom Hausputz nicht zu schweigen. Das Anspielen und Durchspielen von Konfliktsituationen, das Todheitere und Lebensernste des Theaters ist auch ein für Gesellschaften lebensnotwendiger Luxus, der - wie ich aus eigener Erfahrung weiß - sehr viel Zeit und Engagement braucht. Vielleicht muss die Qualität von Arbeit/en anders bewertet werden. Für den Anfang genügt es vielleicht, Situationen daraufhin zu betrachten, was an ihnen Arbeit ist, von wem sie ausgeht und wohin sie führt. Freilich ist es ein Experiment. 'Keine Experimente' ist eine Losung, die eher Angstpolitik beschreibt als irgendetwas anderes. Am Ende von Frigga Haugs Rede kommt das, was immer zu befürchten ist, wenn Hoffnung im Spiel ist. Die Worte gehen ins Ungefähre.
Ähnlich wie John Rawls, der von demokratischen im Unterschied zu anderen politischen Regimen sprach, zielt Frigga Haugs Argumentation auf 'ein neues Zeitregime für unsere Lebensweise'. Der vereinnahmende Plural ihrer ganzen Rede stößt sicherlich so mancher/manchem auf, die/der sich für individuell/unteilbar hält. Bei lebendigem Leib wird niemand gern zerlegt.
Etwas praxisnäher, aber auch perspektivloser, weil journalistischer und systemunkritischer, äußerte sich Kolja Rudzio in der Zeit vom 12. Januar 2010 zur "Arbeitsmarktreform - Rüttgers I statt HartzIV?". Die Selbstverständlichkeit von Worten wie 'Ideologie' und 'Arbeitsmarkt' wird nicht befragt.
| thomas wettengel (c) 2010-01-30 |
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